Phonologische Bewusstheit – Definition und Erklärung
zuletzt aktualisiert am 06.03.2023
Phonologische Bewusstheit – Definition
Definitionen zur phonologischen Bewusstheit existieren einige. Beispielsweise wird phonologische Bewusstheit als eine Fähigkeit angesehen, mit der man:
- lautsprachlich-phonologische Aspekte eines Wortes identifizieren und analysieren kann, ohne dabei die Bedeutungsebene eines Wortes zu beachten.
- die Lautstruktur der eigenen Sprache erkennen, unterschieden und manipulieren kann.
- formale Eigenschaften gesprochener Sprache wahrnehmen kann.
- Wissen über die lautliche Struktur der Sprache hat.
- eine allgemeine Sprachbewusstheit besitzt und über Sprache reflektieren kann und mit der man die Wortform eines Wortes, unabhängig von dessen Bedeutung, analysieren und manipulieren kann.
Versucht man all dies in eine Definition zusammenzubringen, könnte das Ergebnis wie folgt aussehen:
Definition
Phonologische Bewusstheit bedeutet, dass eine Person Wissen über die sprachlichen Strukturen einer Sprache besitzt und diese Strukturen in dieser gesprochenen Sprache erkennen, unterscheiden und manipulieren kann, ohne die Bedeutungsebene zu beachten.
Wie gesagt, dass ist nur eine mögliche Definition. Phonologische Bewusstheit ist ein sehr breit verwendeter Begriff, der in viele weitere Bereiche übergreift. Eine exakte Definition ist deshalb schwierig.
Was jedoch alle Definitionen beinhalten ist, dass die Struktur der Sprache wichtig ist und dass der Umgang mit dieser Struktur von Bedeutung ist.
Der Vorteil ist, dass eine exakte Definition nicht notwendig ist, um das Grundprinzip hinter der phonologischen Bewusstheit zu verstehen.
Phonologische Bewusstheit – Was ist das?
Beginnen wir mit einer einfachen Frage. Welches Wort ist länger: Zug oder Kinderwagen?
Logischerweise ist das Wort Kinderwagen länger, schließlich hat es elf Buchstaben, das Wort Zug hat hingegen nur drei.
Junge Kinder antworten auf diese Frage jedoch anders: Für sie ist Zug das längere Wort.
Warum? Weil ein Zug länger ist, als ein Kinderwagen.
Kinder, deren phonologische Bewusstheit noch nicht weit genug entwickelt ist, können Wörter nicht in ihrer Struktur betrachten, sondern betrachten immer den Inhalt.
Die Struktur des Wortes Zug sind drei Buchstaben, zuerst ein Z, dann ein u und am Ende ein g. Die Bedeutung der Wortes Zug ist ein Zug, wie das Kind es aus seinem Alltag kennt: Das kann ein tatsächlicher Zug, aber auch ein Spielzeugzug sein.
Für das Kind ist das Wort Zug, jener Zug aus seinem Alltag und nicht die Buchstaben auf einem Blatt Papier. Und da ein Zug mit seinen Waggons sehr lange ist, ist das Wort Zug länger als das Wort Kinderwagen.
Junge Kinder betrachten somit nur den Inhalt von Wörtern und nicht die Struktur. Deshalb ist für sie Zug das längere Wort.
Kinder müssen erst lernen, dass Wörter eine Struktur haben. Und laut der Definition von phonologischer Bewusstheit sollen Kinder diese Strukturen nicht nur erkennen, sondern auch unterscheiden und manipulieren können.
Zum Erkennen, Unterscheiden und Manipulieren dieser Strukturen von Sprache gibt es unterschiedliche Übungen, die in ihrem Schwierigkeitsgrad variieren.
Ein einfaches Beispiel zum Erkennen von sprachlichen Strukturen ist das Erkennen der Silbenanzahl eines Wortes. Kinder sollen dabei die Silben eines Wortes klatschen.
Das Wort Zug besteht aus einer Silbe, das Kind spricht das Wort aus und bemerkt, dass es beim Sprechen keine Pause machen kann, also klatscht es ein Mal.
Das Wort Kinderwagen besteht aus vier Silben: Kin-der-wa-gen. Das Kind klatscht also vier Mal. Es hat die Übung verstanden und Silben als einen Teil der Strukturen von Sprache begriffen.
Phonologische Bewusstheit bedeutet, dass Kinder verstehen, wie Sprache aufgebaut ist und dass Kinder mit den Bausteinen der Sprache umgehen können.
Phonologische Bewusstheit meint also nichts anderes, als dass mit den Bausteinen von Sprache (Laute, Silben, Wörter) umgegangen werden kann. Das kann das Finden von Reimen sein, das Bestimmen eines Anlauts oder das Malen von Silbenbögen.
Der Grund, warum phonologische Bewusstheit so wichtig ist, liegt auf der Hand: Kinder, deren phonologische Bewusstheit gut ausgebildet ist, fällt der Schriftspracherwerb sehr viel leichter.
Wie bereits oben erwähnt, gibt es unterschiedliche Übungen, um die phonologische Bewusstheit festzustellen oder zu fördern. Da es sich bei der Struktur einer Sprache im eine recht komplexe Angelegenheit handelt, hat sich bei der phonologischen Bewusstheit eine Zweiteilung in einen weiteren und engeren Sinn durchgesetzt.
Phonologische Bewusstheit im weiteren Sinn
Phonologische Bewusstheit im weiteren Sinn meint, dass Kinder in der Lage sind, größere Einheiten der gesprochenen Sprache zu unterscheiden – also Wörter und Silben.
Ist bei Kindern die phonologische Bewusstheit im weiteren Sinne ausgebildet, dann können sie bestimmen, ob es sich um einen vollständigen Satz handelt oder nicht, ob es sich um Reime handelt oder Kinder können Wörter in Silben zerlegen.
Diese Fähigkeiten entwickeln sich erst im Laufe des Kindergartens, am Ende des Kindergartenalters haben Kinder die Struktur der Sprache so verinnerlicht, dass sie Übungen zur phonologischen Bewusstheit im weiteren Sinn lösen können.
Phonologische Bewusstheit im engeren Sinn
Die phonologische Bewusstheit im engeren Sinn bezieht sich auf kleinere Einheiten der gesprochenen Sprache – also auf Phoneme.
Je kleiner die zu bearbeitende Einheit, desto schwieriger ist die Aufgabe. Aus diesem Grund ist die phonologische Bewusstheit im engeren Sinne anspruchsvoller und wird später erlernt. Während Kinder größere Einheiten der Sprache (Wörter, Silben) im Kindergartenalter verinnerlichen, entwickelt sich die phonologische Bewusstheit im engeren Sinn erst im Laufe des Unterrichts der ersten Klassen in der Grundschule.
Phonologische Bewusstheit entwickelt sich während des Kindergartenalters und den ersten Jahren der Grundschule.
Phonologische Informationsverarbeitung
Die phonologische Bewusstheit mag für den Schriftspracherwerb eine wichtige Rolle spielen, es ist allerdings bei weitem nicht der einzige Faktor, der Einfluss hat. Der Schriftspracherwerb und das Lesenlernen sind komplexe Vorgänge, bei denen unzählige Prozesse ablaufen.
Die phonologische Bewusstheit wird so oft nur als ein Teil der phonologischen Informationsverarbeitung gesehen. Die phonologische Informationsverarbeitung fasst alle Fähigkeiten zusammen, für die phonologische Informationen nötig sind. Diese drei Fähigkeiten sind:
- phonologische Bewusstheit
- phonologisches Arbeitsgedächtnis
- Benenngeschwindigkeit (Zugriff auf das semantische Lexikon)
Das phonologische Arbeitsgedächtnis ist wichtig, um Informationen unmittelbar abzuspeichern zu können. Gerade am Anfang des Lesenlernens ist es wichtig, da Kinder Wörter mühsam erlesen müssen – erreichen sie das Ende des Wortes müssen sie sich an den Anfang erinnern können.
Kinder mit durchschnittlichem oder überdurchschnittlichem Arbeitsgedächtnis haben es beim Lesenlernen leichter.
Die Benenngeschwindigkeit bezeichnet, wie schnell Kinder auf die Bedeutung eines Wortes zugreifen können. Je schneller dies geschieht, desto schneller funktioniert die sprachliche Informationsverarbeitung, was für das Lesen zentral ist.