Wie lernen Jungs am besten lesen?
Jungs lesen weniger und schlechter als Mädchen. Dadurch schneiden sie nicht nur in der Schule schlechter ab, häufiger werden sie zu Problemschülern und verlieren ihr Leben lang die Lust am Lesen. Die Gründe, warum Jungs weniger gerne zum Buch greifen, sind vielfältig. Allerdings sind Jungen dem Lesen nicht grundsätzlich abgeneigt. Was oftmals fehlt, ist die richtige Förderung und das Eingehen auf ihr Leseverhalten.
zuletzt aktualisiert am 10.10.2022
Jungs und das Lesen
Als Kind war ich ein riesiger Schottland-Fan. Ich sah mir alle Dokumentationen und Filme an, die ich in die Finger bekam. Ich sah mir Fotos an und interessierte mich für die Geschichte Schottlands. Die Highland-Games waren eine einzige Faszination für mich!
Und ich las Bücher über Schottland – über die Geschichte, Reiseberichte, selbst Reiseführer, ich informierte mich über die Clans, über das Monster von Loch Ness und über schottische Nationalgerichte. Vieles, was ich las, verstand ich nicht einmal. War mir aber egal. Schottland hatte mich in seinen Bann gezogen.
Nur Kinderbücher über Schottland hatte ich nicht. Die Frage ist, ob ich sie gelesen hätte. Ich wollte mich über Schottland informieren, ich stellte mir vor, wie ich durch die Highlands reisen würde, wie ich am Ufer von Loch Ness stehen würde. Vielleicht hätte ich ein Kinderbuch, das in Schottland spielt, gelesen. Wohl eher nicht.
Braucht es eine Leseförderung für Jungen?
Jungs lesen schlechter und weniger als Mädchen. Und das seit Jahren. In sämtlichen Lesestudien, quer durch alle teilnehmenden Länder und quer durch alle Altersgruppen, zeigt sich das gleiche Bild: Die Lesekompetenz ist bei Jungen signifikant geringer als bei Mädchen.
Spätestens seit der ersten PISA-Studie aus dem Jahr 2000 ist klar, dass Jungenleseförderung eine der großen Herausforderungen für die Bildungspolitik ist. 22! Jahre später ist davon nur wenig zu sehen – schon gar keine Ergebnisse. Die Lesekompetenz der Jungen hat sich in der letzten PISA-Studie aus dem Jahr 2018 nicht gebessert.
Dabei scheinen Jungs am Anfang des Lesenlernens durchaus motiviert zu sein. In den ersten beiden Schuljahren wird die hauptsächlich Lesefähigkeit erlernt: Buchstaben werden gelernt, Wörter und kurze Sätze. Zu Beginn des Lesenlernens sind die meisten Kinder sehr bemüht und motiviert das Lesen zu erlernen. Die Unterschiede zwischen den Geschlechtern sind hier kaum vorhanden.
Doch irgendwann kommt der Punkt, an dem Jungen dem Lesen den Rücken zukehren. Von diesem Zeitpunkt verbessert sich ihre Lesekompetenz kaum mehr. Am Ende der Grundschule liegt die Lesekompetenz von Mädchen bereits über jenerr von Jungen.
Warum die Lesekompetenz bei Mädchen generell höher ist, wird in der Forschung heiß diskutiert. Antwort hat man noch keine – zumindest keine eindeutige. Es gibt eine Fülle an Thesen und Vermutungen, was genau die Ursache für die Leseunlust von Jungen ist.
Im Laufe der Schulzeit vergrößert sich dieser Unterschied immer weiter. In der Sekundarstufe sind 70% der Nichtleser männlich.
Besonders bei herausfordernden Aufgaben schneiden Jungs schlechter ab, also etwa beim Interpretieren und Bewerten von Texten. Ursache dafür ist die schlechtere Lesekompetenz, es zeigt aber auch, dass Jungs in höheren Klassen immer mehr an Boden verlieren. Bevor das Interpretieren und das Bewerten von Texten im Unterricht Aufgabe wird, ist das Interesse der Jungen am Lesen schon lange erloschen. Es fehlt an Übung, es fehlt an den Grundlagen und folglich auch an der Motivation.
Welche massiven Auswirkungen das hat, sollte klar sein. Lesen zählt zu den Basiskompetenzen, ohne gut ausgebildeter Lesekompetenz droht nicht nur eine schlechte Note im Deutschunterricht, sondern in fast sämtlichen Fächern. Der Schulerfolg hängt maßgeblich von der Lesekompetenz ab.
Jungs und Bücher – ein hoffnungsloser Fall?
Nach dem anfänglichen Leseunterricht scheint die Lust am Lesen bei Jungen verloren zu gehen. Die Frage ist natürlich, warum das so ist. Ursachen gibt es sicherlich mehrere, die zusammenwirken.
Ein Grund könnte sein, dass Jungen oftmals ein männliches Vorbild beim Lesen fehlt. Frauen lesen mehr als Männer, viele Kinder sehen eher die Mutter statt des Vaters lesen. Auch das Vorlesen ist fest in weiblicher Hand.
Im Kindergarten in der Grundschule und auch in höheren Schulen sind der Großteil der Lehrer weiblich. Auch das führt dazu, dass viele Jungs das Lesen als eine weibliche Tätigkeit von sich schieben.
Ein anderer Grund ist, dass sich das Lesen und die Auffassung von Lesen zwischen Jungen und Mädchen grundlegend unterscheidet und zwar in mehreren Bereichen:
„Erstens bezüglich der Lesequantität und -intensität: Mädchen und Frauen lesen mehr als Jungen und Männer; zweitens bezüglich der Lesestoffe und Leseweisen: Mädchen und Frauen lesen anderes und anders als Jungen und Männer und drittens bezüglich der Lesefreude oder Leseneigung: Mädchen und Frauen bedeutet das Lesen mehr als Jungen und Männern.“ (Garbe 2002)
Der letzte Punkt ist interessant. Mädchen und Frauen bedeutet das Lesen mehr. Viele Jungen geben an, dass sie lieber anderen Aktivitäten nachgehen, als zu lesen. Sie treiben lieber Sport, spielen lieber am Computer, usw.
Auch Männer geben an, dass sie ihren Kindern oft nicht vorlesen, weil sie die gemeinsame Zeit anders nutzen.
Das Lesen hat für Jungen grundsätzlich einen anderen Stellenwert. Schon 1994 schrieb Bettina Hurrelmann, dass
„Mädchen und Jungen sich in ihren Lesepräferenzen, Lesestilen, Leseerfahrungen, Lesehemmungen – überhaupt in allen Dimensionen ihrer Lesetätigkeit unterscheiden. Es gibt einen systematischen Unterschied im Leseverhalten der Geschlechter schon am Ende des Grundschulalters.“ (Hurrelmann 1994)
Genau diese unterschiedlichen Zugänge zum Lesen von Jungen und Mädchen könnten ein Grund dafür sein, warum Jungs die Lust am Lesen verlieren. Eine Leseförderung von Jungen muss das unterschiedliche Leseverhalten in den Blick nehmen.
Eine weitere Studie (vgl. Süss 2000) zeigt ebenfalls ein spannendes Ergebnis: Die höhere Lesedauer von Mädchen und Frauen zeigt sich nicht allgemein bei Printmedien, sondern nur bei Belletristik. Das heißt: Frauen lesen mehr Belletristik. Süss schließt darauf, dass die Lesedauer zwischen den Geschlechtern gleich ist, sie verteilt sich nur anders.
Jungs lesen oft, um sich zu informieren. Oftmals wird ein Ziel mit dem Lesen verfolgt, das außerhalb von einer reinen Genusserfahrung liegt. Anders gesagt: Der Text an sich reicht Mädchen oftmals als Ansporn zum Lesen, Jungen brauchen externen Ansporn. Solch ein Ansporn kann sein, dass eine männliche Bezugsperson als Leser angesehen wird, es kann das Interesse an einem Thema sein oder der Wunsch etwas herauszufinden.
Fakt ist, dass sich Leseverhalten, Leseinteressen und Lesekompetenz zwischen Mädchen und Jungen unterscheiden. Leseförderung für Jungen bedeutet, Jungen langfristig zum Lesen zu bringen. Lesefähigkeit und Lesemotivation muss gefördert werden. Beides geht Hand in Hand.
Leseförderung für Jungs – Was können Eltern und Schulen tun?
1. Väter als Leser
Einer der wichtigsten Faktoren, damit Jungen zum Lesen kommen, sind männliche Vorbilder. Das beginnt in der Familie: Ein Vater der dem Sohn vorliest und auch selbst liest, hat einen unglaublichen Einfluss auf das Leseverhalten des Kindes. Übrigens profitieren nicht nur Söhne von väterlichen Lese-Vorbildern, sondern auch Töchter. Einigen Studien zufolge wirkt sich das männliche Lese-Vorbild positiver auf das Leseverhalten der Kinder aus als das weibliche.
Männliche Vorbilder bedeutet nicht, dass der Vater Liebesromane lesen sollte. Er soll das lesen, was ihn interessiert und mit dem Sohn darüber sprechen.
2. Männliche Lese-Vorbilder
Nicht nur innerhalb der Familie braucht es Lese-Vorbilder. Ein Grund, warum Jungs schwerer zum Lesen zu bewegen sind, ist, dass Lesen oft als weibliche Aktivität angesehen wird. Vom Kindergarten an liegt die Ausbildung in weiblichen Händen: im Kindergarten, in der Grundschule und auch ab der Sekundarstufe sind es oft Lehrerinnen, die das Lesen vermitteln.
3. Themen für Jungen
Themen wie Rivalität, Sport, Kampf und Technik sprechen im allgemeinen Jungen an. Tiere kommen in jungen Jahren ebenfalls gut an – vor allem, wenn es gefährliche sind. Es darf auch ein eklig sein.
Bei Sachtexten richtet sich die Lektüre natürlich nach den Interessen. Für Kinder geschriebene Wissensmagazine bieten sich an, um neue Interessen zu finden.
Wenn der Sohn kein Fan von Belletristik ist, dann hat es keinen Sinn ihn dazu zu zwingen. Bei einer Pflichtlektüre kann es helfen, wenn ein übergeordnetes Ziel vorgegeben wird. Beispielsweise kann das Kind in die Rolle eines Kritikers schlüpfen und soll Dinge notieren, die ihm gut oder gar nicht gefallen.
4. Vorlesen im Kindesalter
Einige Studien zeigen, dass das Vorlesen (besonders wenn es der Vater oder eine andere männliche Bezugsperson tut) sich stark auf das zukünftige Leseverhalten von Jungen auswirkt.
Die positiven Auswirkungen des Vorlesens sind längst bekannt. In besonderem Maße scheinen Jungen davon zu profitieren.
5. Textsorten: Das Lesen breiter denken
Alles was gelesen wird, ist gut. Wenn der Lesemuffel lieber zum Comic oder zum Bilderbuch greift, dann ist das in Ordnung. Ein Comic ist nicht schlechter als ein Roman, denn das Medium bestimmt nicht über die Qualität.
Wenn lieber am Computer oder am Tablet gelesen wird, dann ist das in Ordnung. Lesen mit technischen Hilfsmitteln kann die Lesemotivation von Jungen steigern. Als Zusatz kann ein Sachtext über die technische Umsetzung eines e-Readers gelesen werden. Die Frage, wie ein e-Reader überhaupt funktioniert, kann den Forscherdrang wecken.
Digitales, Zeitschriften, Sachtexte, Anleitungen, Zeitungsartikel, usw. bieten sich an, wenn ein Kind nur schwer Zugang zu fiktionaler Literatur finden.
6. Sinn im Lesen finden
Jungs lesen, um sich zu informieren. Seltener als bei Mädchen steht der reine Genuss an der Lektüre im Vordergrund. Während für Mädchen somit die Aussicht auf eine Geschichte genug Anreiz bietet, um zum Buch zu greifen, benötigen Jungs mehr Ansporn. Sie müssen die Lektüre mit einem Ziel verbinden, sozusagen einen Sinn hinter dem Lesen sehen.
Solch ein Sinn kann das einfache Informieren über ein Thema sein. Bei Kindern hilft es oft, Texte mit Rätseln und Aufgaben zu versehen. So ist der Text Mittel zum Zweck, die richtige Lösung zu finden.
Konkrete Fragen zu einem Buch, können ebenfalls das Leseinteresse wecken und eine Art Forscherdrang wecken. Jungs, die beispielsweise Dinosaurier mögen, können mit der Frage, welcher der größte Dinosaurier war, zum Lesen motiviert werden.
Fragen vor der Lektüre sind eine gute Möglichkeit, um Interesse zu wecken. Kinder müssen dann eine Annahme formulieren und die muss danach natürlich überprüft werden.
7. Guter Literaturunterricht
Wie gesagt, sehen Jungen gerne einen Sinn im Lesen. Literaturunterricht, der sich somit nur auf das Lesen und auf eine Inhaltsüberprüfung beschränkt, ist besonders für Jungen von Nachteil. Und übrigens auch für Mädchen nicht zielführend.
Im Unterricht muss über Bücher gesprochen und diskutiert werden. Nicht nur über den Inhalt und die Figuren, sondern vor allem über die Thematik des Buches. Die Schüler müssen Forscher werden, sie müssen Dinge selbst herausfinden, die Lektüre muss mit anderen Medien verbunden werden: mit Videos, Musik, Sachtexte, usw.
8. Auf die Präsentation kommt es an
Jungen mögen farbenfrohe Bücher mit Bildern. Nicht-linearer Text spricht sie eher an als Fließtext.
Idealerweise sind die Bilder mit kurzen Textabschnitten verbunden. Kinder-Wissensbücher sind ein gutes Beispiel für solche Texte. In kurzen Texten werden spannende Informationen präsentiert, die dann durch Illustrationen vertieft werden.
9. Action hilft
In Geschichten lieben Jungs Handlung. Wenn Schlag auf Schlag etwas passiert, dann ist es ideal. Jungs können oftmals weniger mit der Gefühlswelt von Figuren anfangen, sie haben Taten lieber.
10. Über Bücher sprechen
Das Reden über Bücher, besonders auch negative Kritik, ist wichtiger Bestandteil des Lesens. Jungs lesen oft, um sich zu informieren. Dahinter steht ein Thema, dass sie interessiert und über das gesprochen werden will. Wenn im Gespräch neue Fragen und Unklarheiten auftreten, motiviert dies zur weiteren Recherche.
11. Filme, Serien, Computerspiele nutzen
Andere Medien können zum Lesen verleiten. Die Lieblingsserie oder das Lieblingsspiel können Anreiz für die Lektüre eines Buches sein.
Entweder indem die Thematik des anderen Mediums aufgegriffen wird: Beispielsweise kann zu einem Computerspiel, in dem Roboter vorkommen, ein (Sach-)Buch ausgewählt werden.
Zu vielen Serien, Filmen und Spielen gibt es heute auch schon passende Bücher. Auch so können Jungs für das Lesen begeistert werden.